Wenn Helden weinen
Serie: | Bibeltext: Joh 11,35
Weinen Helden?
Jesus weinte (Joh 11,35 ELB)
Ein Held ist jemand, der viel Einfluss, Macht und Verantwortung hat, und damit Gutes tut. Deshalb geben wir unseren Helden gerne mehr Macht und Verantwortung.
Einem Menschen, der immer nur weint, können wir dies aber genauso schlecht anvertrauen, wie jemandem der gar nie weint.
Helden weinen, aber sie weinen nicht oft.
Helden unterdrücken ihre Gefühle nicht aber sie werden von ihren Gefühlen auch nicht unterdrückt.
Wir lesen drei Mal davon, dass Jesus geweint hat: in Gethsemane, über Jerusalem und über Lazarus. Ich denke, gerade weil Jesus nicht so häufig geweint hat, waren seine Tränen umso bedeutungsvoller.
Bei Lazarus, war Jesus nicht nur traurig. Über die gleiche Situation konnte er sich auch freuen (Joh 11,15) und wütend werden (Jon 11,34).
Jesus ist aber nicht nur ein Held, er ist auch Gott und deshalb war er nie einem Gefühl ausgesetzt, welches er nicht bewusst für sich angenommen hat.
Gefährliche Männer
„Egal wie alt du bist. Du hast einen Vater, der eine massive Vaterwunde hat. Hast du! Und zwar einfach nur aufgrund unserer Geschichte. (Johannes Hartel: Die Kunst deinen Mann zu lieben)
Durch die beiden Weltkriege wurden gleich zwei Generationen von Männern gezwungen ihre Emotionen abzutöten, so haben wir heute noch einen massiven Mangel an männlichen Vorbildern, wenn es um Gefühle geht.
Es ist wichtig, den Emotionen Ausdruck zu geben. Allein die Aufforderung dazu ist aber wenig hilfreich und unter Umständen auch Gefährlich. Männer die nicht gelernt haben, dass sie gefährlich sind, können gerade durch die Anforderung Gefühle zu zeigen, leicht sich selbst und andere verletzen.
Jesus wusste, dass er gefährlich ist und niemand zweifelte daran, als er z.B. die Händler aus dem Tempel trieb (Jon 2,14f). Die Mächtigsten fürchteten wegen ihm alles zu verlieren. Das war ihr Grund ihn töten zu wollen.
Diese 'Gefährlichkeit' von Jesus hinderte ihn nicht daran, emotional und gütig zu sein. Im Gegenteil, ich denke auch das machte seine Tränen umso bedeutungsvoller.
Lazarus
Johannes 11,1-51
Weil Jesus den Mächtigen gefährlich wurde, wollten sie ihn schon zwei Mal steinigen. So zog sich Jesus zurück, zwei Tagesreisen entfernt von Jerusalem auf die andere Seite des Jordans. Da sandten Maria und Martha nach ihm um ihn zu bitten zurückzukommen, damit er ihren kranken Bruder heile. Jesus reagiert nicht.
Hast du Jesus auch schon mal angefleht zu helfen und er reagierte nicht?
Was die Boten nicht wussten ist, dass zum Zeitpunkt an dem sie Jesus gefunden haben, Lazarus bereits gestorben ist. Trotzdem entschied Jesus zwei Tage später plötzlich, dass er Lazarus doch noch aufsuchen will. Zum Entsetzen seiner Jünger, denn sie rechneten damit, dass Jesus in Jerusalem umgebracht wird. Als Jesus auch noch sagte, dass Lazarus bereits gestorben ist und er zu ihm will, mussten sie gedacht haben, dass Jesus selbst sterben will, um Lazarus im Totenreich aufzusuchen und ihn von dort aus zu erwecken, ins ewige Leben im Himmel.
Das war ja auch nicht ganz falsch. Auf jeden Fall sagte Thomas zu seinen Mitjüngern: „Laßt auch uns gehen, daß wir mit ihm [Jesus] sterben“ (Jon 11,16).
Jesus aber hatte vorher noch etwas anderes vor. Die Jünger sollten Zeugen werden von seinem bisher grössten Wunder, und darüber freute sich Jesus.
Jesus begegnete Marta und Maria, beide sagten zu ihm: „Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben“ (John 11,21).
Das war kein Vorwurf, denn auch wenn Jesus sofort mit den Boten zurückgekehrt wäre, wäre er erst zwei Tage nach der Grablegung von Lazarus angekommen.
Das war ein Ausdruck von ihrem Glauben: Wenn du da gewesen wärst, wäre das alles nicht passiert. Da wo Jesus ist, kann nichts Schlimmes passieren! Richtig? Ironischerweise lehrt uns die Geschichte von Lazarus genau das Gegenteil. Jesus ist da, wo Schlimmes passiert.
Bei Maria und Martha waren viele Juden, die extra gekommen sind, um sie in der Trauer zu begleiten. Alle weinten laut, um damit der Trauerfamilie das Weinen zu erleichtern. Als Jesus das sah, wurde er erst zornig, wahrscheinlich auf den Tod selbst. Dann aber weinte er – leise. Luther übersetzt: „Und Jesus gingen die Augen über.“ Das beeindruckte alle Anwesenden sehr, sodass sie zueinander sagten: „Siehe, wie hat er ihn lieb gehabt!“ (Joh 11.36).
Ich frage mich: wie ist ihnen das überhaupt aufgefallen? Sie weinten ja alle selbst! Was war so beindruckend, was war so anders an den Tränen von Jesus?
Aber noch mehr frag ich mich, wieso Jesus überhaupt weinte. Er wusste ja, was für ein grosses Wunder in nur wenigen Minuten passieren wird und dass dann alle ihre Trauer völlig vergessen werden. Aber Jesus vertröstet niemand auf eine bessere Zukunft, auch nicht sich selbst.
Er weint. Wieso? Weil Jesus uns Menschen nahe sein will, nicht nur in der Freude, sondern auch in der Trauer.
Lange Zeit glaubte ich, dass Jesus eine Bild von mir hat, wie ich einmal völlig geheiligt, und makellos bei ihm im Himmel sein werde, und er nur diese Zukünftige Version von mir liebt. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Er ist in unsere Welt gekommen, weil er uns auch jetzt liebt. Weil er uns – trotz allem Hässlichen an und um uns herum – nahe sein will.
Er will dir so nahe sein, dass er sich über alles freut, was dich freut, über alles wütend wird, was dich wütend macht, und all deinen Schmerz so spürt, als wäre es sein eigener. Natürlich könnte sich Jesus auch von unangenehmen Gefühlen distanzieren. Aber das würde heissen, dass er sich darin auch von dir distanziert.
Natürlich hätte Jesus zu Maria und Marta sagen können: „Weint nicht, in 30 Minuten ist alles gut“. Aber Jesus will nicht nur, die schönen Seiten von unserem Leben. Er will alles.
Solange die 30 Minuten nicht um waren, weinte er mit Maria und Marta, genauso wie er sich nachher mit ihnen freute.
Wenn Helden weinen, dann heilen die Herzen!
Freut euch mit den sich Freuenden, weint mit den Weinenden. (Röm 12,15)
Auf https://www.coulter.ch/blog/?p=200 kannst du nachlesen, wie ich das persönlich erlebt habe.