Unser Vater

Datum: Sunday, 15. August 2021 | Prediger/in:
Serie: | Bibeltext: Matthäus 6,1-18

In der Mitte der Bergpredigt lehrt Jesus seine Jünger beten. Er macht dies mit den Worten des «Unser Vater» Gebets. Eingebettet ist dieses Gebet in drei Beispiele von falschem und von wahrem «Gottesdienst». Die drei Beispiele sind Almosen geben, beten und fasten. Schauen wir uns zunächst an, was da falsch laufen kann.

Der falsche Gottesdienst

Gott macht in der ganzen Bibel deutlich: Wer genug zum Leben hat, dessen Pflicht ist es, sich um diejenigen zu kümmern, die zu wenig zum Leben haben. Das meint die Bibel mit «Almosen geben». Also armen, bedürftigen Menschen etwas kleines an Geld oder Nahrung zu geben. Da es damals kein Sozialsystem gab, konnten Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, im Leben gescheitert sind, nur dadurch überleben, dass sie betteln gingen. Eine andere Möglichkeit gab es für sie in der Regel nicht.

Durch die Propheten lässt Gott seinem Volk ausrichten, dass er mehr wert legt, auf gelebte Nächstenliebe und darauf, dass wir Menschen auf ihn hören, als auf alle möglichen (Schlacht-) Opfer (vgl. 1.Sam 15,22; Hosea 6,6 u.a.). Durch den Propheten Jesaja sagt Gott seinem Volk:

«Löst die Fesseln der Menschen, die ihr zu Unrecht gefangen haltet, befreit sie vom drückenden Joch der Sklaverei, und gebt ihnen ihre Freiheit wieder! Schafft jede Art von Unterdrückung ab! Gebt den Hungrigen zu essen, nehmt Obdachlose bei euch auf, und wenn ihr einem begegnet, der in Lumpen herumläuft, gebt ihm Kleider! Helft, wo ihr könnt, und verschließt eure Augen nicht vor den Nöten eurer Mitmenschen!» Jesaja 58,6-7 (HfA)

Das Geben von Almosen, also das Unterstützen von Bedürftigen ist voll im Sinne von Gott. Und genauso sind auch Beten und Fasten gute geistliche Übungen, keine Frage.

Trotzdem kritisiert Jesus in Matthäus 6 Menschen, die genau das machen. Er wendet sich gleich gegen zwei mögliche Hindernisse: die falschen Absichten der Heuchler und die zerstörerischen Sorgen der Heiden. Beide haben je eine falsche Haltung gegenüber Gott. Und aus dieser falschen Haltung kommt je ein falsches Verhalten. Das ist gefährlich, weil letztlich formt falsches Verhalten einen schlechten Charakter.

1. Das Schauspiel der Heuchler

Da ist die eine Gruppe, Jesus nennt sie «Heuchler». Sie praktizieren jene drei wichtigsten religiösen Handlungen. Aber das Problem ist ihre Motivation. Das griechische Wort für Heuchler stammt aus der Schauspielerei und ist an und für sich wertneutral. Aber Jesus braucht es in einem negativen Sinn: Heuchler sind Menschen, die durch ihre frommen Handlungen den Menschen und Gott etwas vorspielen. Schein und Sein klaffen auseinander. Sie handeln, als würden sie es für Gott machen, aber in Wirklichkeit tun sie es um andere zu beeindrucken – letztlich tun sie es für sich selbst, um gelobt zu werden und vor andern gut da zu stehen. Und es mag zwar sein, dass sie damit Menschen täuschen können. Aber Gott können sie nicht täuschen. Er schaut in das Verborgene und sieht die wahren Motive.

Interessant ist, dass zuvor im Kapitel 5 gute Taten genannt werden, welche für die Öffentlichkeit bestimmt sind:

«Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben. Auch zündet niemand eine Lampe an und stellt sie dann unter ein Gefäss. Im Gegenteil: Man stellt sie auf den Lampenständer, damit sie allen im Haus Licht gibt. So soll auch euer Licht vor den Menschen leuchten: Sie sollen eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.» Matthäus 5,14-16 (NGÜ)

Gute Taten sollen also sichtbar sein und Menschen auf den himmlischen Vater hinweisen. Doch von den geistlichen Übungen heisst es, dass sie im Verborgenen geschehen sollen. Sie zielen nicht auf öffentliche Wahrnehmung, nicht auf die Ehrung von denen, die sie ausüben. Sie gehören in die persönliche Beziehung zum Vater.

Als Menschen steckt tief in uns der Wunsch nach Anerkennung, Wertschätzung und Annahme. Doch der Heuchler versucht diesen Wunsch durch Schau zu stillen. Er sucht die Anerkennung der Menschen, anstatt Anerkennung, Wert und Annahme beim himmlischen Vater zu suchen und sich in seine Hand fallen zu lassen.

Das Resultat ist tragisch. Ehrlichkeit, Integrität und Transparenz stehen auf dem Spiel. Solche Menschen tun so, als würden sie nach der Musik Gottes tanzen. In Wahrheit tanzen sie aber zur Musik der Menschen, denen sie gefallen möchten, ja zutiefst tanzen sie zur Musik ihres eigenen Egos. Und das verdirbt den Charakter.

2. Die Sorgen der Heiden

Die zweite Gruppe, die Jesus nennt, das sind die Heiden, also die Menschen, welche den Gott Israels nicht kennen. Sie versuchen, ihre Götter mit ihren frommen Übungen zum Handeln zu bewegen. Leider hat sich dieses heidnische Denken immer wieder in das Denken des jüdischen Volkes eingeschlichen. Die Menschen fühlen sich der Willkür der Götter ausgeliefert. Sie versuchen nun durch religiöse Praktiken die Götter zu besänftigen und dazu zu bewegen, ihnen Gutes zu tun – oder zumindest nichts Schlechtes. 

Dahinter stecken Existenzängste oder Sorgen. Die Sorgen sind der Antrieb. Gottesdienst wird so zur Leistung, die man erbringt, um damit Gottes Handeln zu bewirken. Deshalb machen sie z.B. lange, plappernde Gebete (Matthäus 6,7). Durch die Gebete sollen die Götter aufgeweckt und bewegt werden. Man könnte sagen: Die Menschen machen die Musik und die Götter sollen danach tanzen. 

Doch der «Vater im Himmel» ist nicht so wie sich die Heiden ihre Götter vorstellen. Der Gott der Bibel hat sich in Jesus uns Menschen gezeigt, er hat sich offenbart. Er kennt die Menschen und ist ihnen grundsätzlich liebevoll zugewandt. Er hat sich sogar zu einem verlässlichen Bund mit ihnen verpflichtet!

Gebete haben deshalb weder den Sinn, uns Anerkennung vor den Menschen zu bringen, noch Gott durch unsere religiösen Aktivitäten in Bewegung zu setzen. Er, der himmlische Vater, weiss, was wir brauchen und er ist uns liebevoll zugewandt, bevor wir auch nur einen einzigen Satz beten! Das verändert die Haltung und den Inhalt des Betens grundsätzlich.

Der wahre Gottesdienst

Der wahre Gottesdienst besteht darin, dass seine Jünger voll auf Gott vertrauen. Sie können das, weil ihr himmlischer Vater weiss, was sie brauchen (Matthäus 6,32b). Das ist der erlösende Satz. Gott weiss, was wir brauchen. Und so bekommt Beten, Almosen geben oder Fasten eine andere Richtung. So geht es dabei nun um die Pflege der Beziehung zu Gott.

Schauen wir uns das am Beispiel des «Unser Vaters» an. Das Gebet «leistet» gewissermassen drei Dinge:

1. Das «Unser Vater» stiftet Identität

Mit der Anrede «Unser Vater» nimmt Jesus seine Schüler mit hinein in seine Gemeinschaft mit dem Vater. Sein Vater ist nun auch unser Vater. «Uns» meint nicht nur wir als Gemeinde, sondern wir im Sinne von Jesus und wir. Wir werden zu Brüdern und Schwestern von Jesus.

Die vertrauensvolle Anrede «Unser Vater» bringt zum Ausdruck, dass wir nun zur Familie des himmlischen Vaters gehören, der weiss, was wir brauchen. Das ist der tiefste Halt, den ein Mensch finden kann. Und es ist zutiefst ein Zuspruch von Identität: Ich bin geliebtes Kind des allmächtigen Gottes. 

So wie der Vater Jesus bei seiner Taufe zuspricht: «Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe», so spricht er auch uns zu: «Du bist mein geliebtes Kind, an dir habe ich Wohlgefallen». Und in der Anrede «Unser Vater» nehmen wir diese Identität an.

2. Das «Unser Vater» fokussiert auf das eine grosse Ziel

Auf die Anrede folgen drei Bitten, welche uns auf den Vater im Himmel ausrichten: Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe. Nicht ich, ich, ich, sondern Du, Du, Du! 

Die drei Bitten bauen aufeinander auf: Gott wird dadurch verherrlicht, dass sein Reich sich realisiert und das wiederum geschieht, indem sein Wille getan wird.

Das ist das eine grosse Ziel für ein gutes Leben. Oder wie es im Vers 33 heisst:

Es soll euch zuerst um Gottes Reich und Gottes Gerechtigkeit gehen …» (NGÜ)

3. Das «Unser Vater» legt Sorgen, Schuld und Angst in Gottes Hand

Im zweiten Teil des Gebets geht es dann quasi um den zweiten Teil von Vers 33:

«… dann wird euch das Übrige alles dazugegeben.» Matthäus 6,33 (NGÜ)

Es geht um die gegenwärtige Sorge um die lebensnotwendigen materiellen Mittel (das tägliche Brot). Es geht aber auch um die drückende Last der Schuld, der unabänderlichen Vergangenheit (Vergebung der Schuld). Und es geht um die Angst vor der unabsehbaren Zukunft (Bewahrung angesichts des Bösen). Dort, wo uns Sorgen, Angst oder Schuld lähmen, können wir uns nicht auf das eine grosse Ziel eines guten Lebens ausrichten. Darum bitten wir Gott, dass er uns hier hilft – nicht weil er die Information von uns braucht, sondern weil wir alleine damit nicht klar kommen und auf ihn angewiesen sind. Wenn wir Jesus nachfolgen wollen, wenn wir nach seiner Musik tanzen wollen, dann brauchen wir nicht in erster Linie mehr Belehrung, mehr Appelle oder mehr Training (geistliche Übungen). Denn letztlich übersteigt das alles unsere eigenen Möglichkeiten. Was wir zuallererst und zutiefst brauchen, das ist Begegnung mit dem himmlischen Vater.

Amen.

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