Tief verwurzelt
Serie: Epheserbrief | Bibeltext: Epheser 3,14-21
Die Kapitel 1-3 vom Epheserbrief werden oft als der «dogmatische Teil» bezeichnet. Dogmatik geht der Frage nach: Was soll man glauben? Aber eigentlich sind diese drei Kapitel vor allem ein grosses Gebet. Paulus lobt Gott für das, was Gott tut und für das, wer Gott ist. Und Paulus steht im Gebet vor Gott ein für die noch junge Kirche. Man könnte sagen, die Glaubenslehre von Paulus kommt hier direkt aus dem Gebet.
Diese drei Kapitel sind ein gutes Beispiel dafür, dass das ganze Leben, der ganze Dienst von Paulus durchdrungen ist von Gebet. Auch wenn er gerade einen Brief an die Gemeinde in Ephesus schreibt, so ist er am Beten. Darin liegt wohl das Geheimnis, weshalb eine solche Kraft von der Verkündigung und dem Dienst von Paulus ausging.
In den Kapiteln 4-6 beschäftigt sich Paulus dann schwerpunktmässig mit der Frage: «Wie soll man sich dieser Identität entsprechend verhalten?»
Bund und Königreich
Diese zwei Teile von unserer Identität und von unserem Handel kann man auch gut umschreiben mit zwei Begriffen aus der Bibel, welche die Beziehung zwischen Gott und Mensch bezeichnen. Es sind dies Bund und Königreich.
Bund
In der Bibel lesen wir davon, dass Gott mit den Menschen einen Bund geschlossen hat. Das beginnt mit Abraham, dem Urvater des Volkes Israel. Das setzt sich fort durch das ganze Alte Testament und wird im Neuen Testament von Jesus selber aufgegriffen. Als Jesus mit seinen Jüngern kurz vor seiner Gefangennahme das Abendmahl feiert, da sagt er zu den Jüngern:
«Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis.» 1.Kor 11,25 (Luth17)
Bund bedeutet, dass mir bewusst ist, was Jesus für mich getan hat und dass ich deshalb weiss, dass ich ein Kind Gottes bin.
Aber glaube ich das auch im Herz? Vertraue ich auf diese Identität? Denn sie ist ungeheuer angefochten. Als Jesus unmittelbar nach seiner Taufe von Satan in der Wüste versucht wurde, da zielte dieser voll auf die Identität von Jesus: «Wenn du Gottes Sohn bist, dann ...». Doch aus der gelebten Identität folgt immer das Handeln nach Gottes Willen.
Königreich
Das bedeutet, dass ich handle im Auftrag von Gott, dem König. Er ist der König und wir seine Diener. Paulus bezeichnet sich selber immer wieder als Diener von Christus.
Wenn wir beginnen im Auftrag von Gott zu handeln, dann werden wir dabei auch zwangsläufig scheitern. Die Jünger sind immer wieder gescheitert. Doch Scheitern führt uns in die Barmherzigkeit Gottes und stärkt wiederum unsere Identität. Es gibt kein Wachstum ohne Scheitern! Aber viele haben Angst vor dem Scheitern. Scheitern ist in unserer Kultur und speziell auch in der christlichen Gemeinde verpönt. Wer scheitert wird oft ausgestossen. Und so machen es sich viele bequem auf der «Zuschauertribühne», denn dort scheitert man nicht – man wächst aber auch nicht und die Identität wird nicht gestärkt.
Worum bittet Paulus?
Im Kern dieses Abschnittes bittet Paulus um zwei Dinge: Er bittet den Vater darum, dass Christus durch den Glauben in uns wohne und dass wir in der Liebe gegründet und verwurzelt sind.
Christus in uns
Wenn ein Mensch, der bisher nichts von Gott wissen wollte, von diesem Weg umkehrt und neu zu einem lebendigen Glauben an Jesus Christus kommt, dann nennen wir das unter uns «Bekehrung», «Umkehr» oder wir sprechen davon, dass dieser Mensch «Jesus in sein Leben oder sein Herz aufgenommen hat». Genau darum bittet Paulus den himmlischen Vater hier in diesen Versen. Er bittet: «... dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne.» (V17a) Damit knüpft Paulus an das an, was Jesus in Johannes 14,23 sagt:
«Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.»
In der heutigen Zeit, die stark durch den Individualismus geprägt ist, besteht da eine gewisse Gefahr einer Einseitigkeit. Als würde Glaube nur darin bestehen, dass Christus in mir ist, oder dass ich etwas in meinem Herzen spüre. So nach dem Motto «Christus und ich» und der Rest spielt alles keine Rolle. Doch dem ist nicht so. Natürlich ist es wichtig, dass ich glaube, dass Jesus in mein Herz eingezogen ist.
Aber wir sollen uns bewusst sein, dass Glaube auch bedeutet, dass wir «in Christus sind». Weit häufiger als von «Christus in uns» spricht Paulus davon, dass die Gläubigen «in Christus» sind. Alle Gläubigen sind in Christus – das bedeutet, dass sie somit die grosse Familie Gottes bilden. Sie gehören zusammen und sind Teil des grossen, weltweiten Planes, den Gott hat und über den Paulus in diesen ersten drei Kapiteln gesprochen hat. Der christliche Glaube hat zwar durchaus etwas individuelles, in dem Sinne, dass ich mich persönlich für Jesus Christus entscheiden muss, das kann niemand anders für mich entscheiden. Aber damit werde ich eben mit hinein genommen in eine Gemeinschaft, in einen Bund, den Gott mit den Menschen geschlossen hat, hinein in sein weltweites Königreich. Und das ist dann sehr gemeinschaftlich!
Aber wenn mir bewusst ist, dass alle Gläubigen zusammen diesen Leib von Jesus bilden, dann ist es eben auch wirklich wichtig, dass mir bewusst ist, dass der Herr, der König Christus, in jedem einzelnen Gläubigen Einzug hält. Christus in unserem Herzen gibt uns Kraft und Stärke (Vers 16).Und das ermöglicht uns in der Folge, dass wir tiefe Wurzeln schlagen können in der Liebe Gottes.
Erkenntnis der Liebe
Das Zentrum des Glaubens ist es, Gott als den liebenden Vater kennenzulernen. Paulus bittet für uns Gläubigen, dass wir tiefe Wurzeln schlagen in der Liebe Gottes. So können wir gemeinsam – wie Paulus sagt – mit «allen Heiligen» die Dimensionen der Liebe Gottes entdecken. Die Breite, die Länge, die Höhe und die Tiefe! Und Paulus spricht es auch gleich selber an. Er wünscht uns, dass wir diese Dimensionen begreifen können und zugleich weiss er aber auch, dass die Liebe von Christus alle Erkenntnis übertrifft. Die ganze Breite, Länge, Höhe und Tiefe können als Menschen gar nicht erfassen, weil die Liebe einfach noch so viel grösser ist!In dieser unglaublich grossen Liebe sollen wir tief verwurzelt sein. Tiefe Wurzeln bedeuten Stabilität. Ein Baum, der
tiefe, gesunde Wurzeln hat, der wird nicht von jedem Wind weggepustet. Tief in der Liebe verwurzelt zu sein, das bedeutet aber auch, dass man an der Quelle ist. Ein Baum mit tiefen Wurzeln kommt auch in Zeiten der Dürre noch an Wasser heran. Auf uns übertragen heisst das, wer solch tiefe Wurzeln hat, hat auch Zugang zur Liebe Gottes in schwierigen Situationen, in «Dürrezeiten».
Doch die Liebe Gottes ist kein Selbstzweck. Jemand hat mal gesagt, dass wir als Christen keine «Endverbraucher» der Liebe Gottes sein sollen. Die Liebe Gottes ist vielmehr die Energie, die Menschen zum Handeln antreibt. Das kann man sehr gut am Leben von Paulus sehen! Er ist durchdrungen von der Liebe Gottes. Darum sehnt er sich danach, dass alle, die ihr Vertrauen auf Jesus setzen, diese Erfahrung machen. Doch Paulus will diese Liebe nicht einfach für sich behalten. Er will sie weiter geben, er will, dass ganz viele Menschen von dieser Liebe erfahren und erfasst werden. Und das ist nicht einfach nur ein frommer Wunsch. Es ist sein Gebet. Aber dafür setzt er sich auch mit seinem ganzen Leben ein. Darum predigt er, darum schreibt er Briefe, darum reist er umher, in Gebiete mit Menschen, die bisher noch nichts von der Liebe Gottes gehört haben. Und darum endet sein Brief nicht an der Stelle, sondern schreibt er die folgenden drei Kapitel darüber, wie sich diese Liebe von Gott in unserem Leben ganz praktisch auswirken soll!
Wir sollen erfüllt werden mit der ganzen Fülle, die Gott schenkt.
Überaus mächtig und herrlich
Zum Schluss dieses Gebets macht uns Paulus nochmals zwei Dinge klar:
Gott kann uns so viel mehr geben, als wir erbitten oder erdenken mögen. Wenn ich tief verwurzelt in der Liebe Gottes bin, dann beginne aus dieser Kraft zu handeln. Aber dann kann es auch geschehen, dass ich sehr schnell resigniere. Es gibt ja so viel zu tun in dieser Welt, so viel Not und Leid, so viele Menschen, die diese Liebe des himmlischen Vaters noch nicht kennen! Das schaffe ich nie alles zu bewältigen!
Das ist wie damals, als Jesus seinen Jüngern den Auftrag gab, 5’000 Männer satt zu machen – und sie hatten gerade mal zwei Fische und fünf Brote. Hast du dir mal überlegt, wie kleine Stücke du schneiden musst, wenn ein Brot für 1’000 Leute reichen soll? Bei einem Kilo-Brot wäre das 1 Gramm pro Person – aber wahrscheinlich waren es damals Fladenbrote, die wesentlich kleiner waren.
Das was wir von uns aus haben, das reicht einfach hinten und vorne nicht! ABER: Gott kann über die Massen mehr tun, als wir erbitten oder erdenken können. Gott kann das, was wir tun, locker vervielfachen. Das sollte uns nicht überraschen! Doch das liegt alleine bei Gott, nicht bei uns!
Und das zweite, das Paulus uns noch mitgibt: Gott allein gebührt die Ehre! Ben hat es in der letzten Predigt zum Epheserbrief schon erwähnt: Das Wort, das hier mit Ehre übersetzt wird, das heisst im Griechischen «Doxa» und bedeutet Ehre, Herrlichkeit, Ruhm, Glanz. In der Theologie ist deshalb der Fachbegriff für das rühmen der Herrlichkeit Gottes «Doxologie». Das kann ein Abschnitt aus einem Brief sein, wie hier im Epheserbrief, das kann aber auch ein gesprochenes oder gesungenes Lob der Herr- lichkeit Gottes sein. Traditionell ist eine Doxologie trinitarisch, lobt also den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Und sie endet meist mit einer Ewigkeitsformel: «von Ewigkeit zu Ewigkeit». Darauf antworten alle zusammen mit der Bestätigung
«Amen».