Jahreslosung: «Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen»
Serie: | Bibeltext: Johannes 6,37
«Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen»
Dazu fällt mir als erstes eine Türe ein. Wir alle kennen die Situation, vor einer Türe zu stehen. Und je nachdem vor welcher Türe man steht, fühlt man sich ganz unterschiedlich. Neulich musste ich vor der Türe des Fundbüros der Polizei in Luzern warten. Das war ganz etwas anderes, als bei Freunden vor der Türe zu stehen oder auch vor der Türe beim Zahnarzt. Immer wieder in unserem Leben stehen wir vor einer Türe und ob dieser Moment sehr schön oder eher unangenehm ist, das hängt davon ab, ob wir an dem Ort willkommen sind und was uns dort erwartet.
Die Jahreslosung für 2022 lautet: «Jesus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.» Wer also zu Jesus kommt, der ist willkommen, der wird nicht abgewiesen. Das ist doch schon mal eine gute Ausgangslage.
Zur Jahreslosung gestalten jeweils etliche Künstlerinnen und Künstler Grafiken oder Bilder. Eines, das mich dieses Jahr angesprochen hat, das stammt von der Künstlerin Stefanie Bahlinger. Sie stellt die Jahreslosung eben genau mit so einer Türe dar. Ich werde später noch etwas mehr auf das Bild zu sprechen kommen.
Doch zunächst möchte ich einen Blick darauf werfen, in welcher Situation denn Jesus diese Worte, die nun als Losung für das Jahr 2022 ausgesucht wurden, gesprochen hat.
Jesus befindet sich mit seinen Jüngern am See Genezareth. Am Tag zuvor hatte Jesus eine grosse Menschenmasse von über fünftausend Menschen statt gemacht. Das Volk war zusammengeströmt, weil sei mitbekommen hatten, wie Jesus Menschen geheilt hatte. Und nach diesem erneuten Wunder war das Volk überzeugt, dass Jesus der verheissene grosse Prophet ist und sie wollten ihn zu ihrem König machen. Doch Jesus entweicht in die Einsamkeit. Die Jünger fahren am Abend alleine mit einem Boot über den See ans andere Ufer. Jesus kommt später nach, indem er übers Wasser geht.
Am nächsten Morgen folgt ihnen dann die Volksmasse. Jesus spricht ziemlich Klartext mit ihnen:
«Ihr sucht mich nur, weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid. Aber was Gott euch durch die Wunder sagen will, wollt ihr nicht verstehen.»
Johannes 6,26 (NGÜ)
Darauf wollen die Menschen wissen, was sie tun müssen, um Gottes Willen zu erfüllen und welche Zeichen ihnen Jesus geben wird, um zu beweisen, dass er von Gott gesandt ist.
Die Antwort von Jesus gipfelt in der einfachen aber sehr provozierenden Aussage: Ich bin dieses Zeichen, dass ihr verlangt. «Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungrig sein, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.» Doch trotz allem, was ihr schon an Zeichen und Wundern gesehen habt, wollt ihr nicht glauben.
Der Evangelist Johannes erzählt von mehreren solchen Situationen. Und schon in der Einleitung zu seinem Evangelium schreibt er über Jesus:
«Er kam zu seinem Volk, aber sein Volk wollte nichts von ihm wissen. All denen jedoch, die ihn aufnahmen und an seinen Namen glaubten, gab er das Recht, Gottes Kinder zu werden.» Johannes 1,11-12 (NGÜ)
Wir kommen von Weihnachten her. Da feiern wir, dass Gott in diese Welt zu uns Menschen kommt. Er will zu uns kommen und zugleich wünscht er sich, dass wir Menschen zu ihm kommen, uns ihm zuwenden. Doch Gott zwingt uns nicht. Er lässt uns Freiheit. Doch wer zu Jesus kommt, für den gilt die Zusage von Jesus, die nun zu unserer Jahreslosung wurde:
«Alles, was der Vater mir gibt, wird zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.» Johannes 6,37 (EÜ)
Und wenn uns Jesus auch nicht zwingt, so macht er es uns doch vor. Er ist nicht auf die Welt gekommen, um das zu tun, was er will, sondern um zu tun, was der Vater will:
«Denn ich bin nicht vom Himmel herabgekommen, um das zu tun, was ich selber will, sondern um den Willen dessen zu erfüllen, der mich gesandt hat. Und der Wille dessen, der mich gesandt hat, ist, dass ich von all denen, die er mir gegeben hat, niemand verloren gehen lasse, sondern dass ich sie an jenem letzten Tag vom Tod auferwecke. Ja, es ist der Wille meines Vaters, dass jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, das ewige Leben hat; und an jenem letzten Tag werde ich ihn auferwecken.» Johannes 6,38-40 (NGÜ)
Auch dieses Mal lösen die Worte von Jesus heftige Reaktionen aus: Das geht zu weit! Was für eine Zumutung! Der überschätzt sich total. «Wir kennen doch seinen Vater und seine Mutter! Wie kann er da behaupten, er sei vom Himmel herabgekommen?» An der Botschaft von Jesus scheiden sich die Geister. Das war schon damals so und das ist bis heute so geblieben.
Und wenn ich ehrlich bin, dann übersteigen seine Worte auch meine Vorstellungskraft. Wie soll ich das verstehen, dass wir nur zu Jesus kommen können, wenn Gott uns zuvor seinem Sohn gibt? Wenn mich der Vater dem Sohn gibt, dann bin ich ja schon beim Sohn, wie kann ich dann noch kommen? Das ist eine Spannung, die ich nicht auflösen kann – und auch nicht muss. Es zeigt einfach, dass hier das Handeln von Gott und das Handeln von uns Menschen zusammenkommt. Gott handelt: Er zieht uns hin zu sich. Und zugleicht sollen wir Menschen handeln und zu Gott hingehen. Und wenn auch das Handeln von Gott zuerst kommt, so braucht es trotzdem auch unser Handeln. Doch letztlich ist der Glaube unserer Verfügbarkeit entzogen, wir können nicht einfach selber bestimmen. Er ist ein Geschenk. Letztlich ist er ein Geheimnis. Ein unerklärlicher Ausdruck göttlicher Liebe.
Etwas Geheimnisvolles liegt auch in Stefanie Bahlingers Grafik. Eine geöffnete Tür weckt Neugierde: Wer hat sie geöffnet und für wen? Man sieht nur einen kleinen Ausschnitt des Raums dahinter. Ist da jemand hinter der Türe? Wer und was erwarten einem, wenn man sich nähert? Darf man eintreten?
Der Tisch in dem Raum ist nur angedeutet, scheint zu schweben. Auf einem Tisch liegt ein Brot, daneben steht ein Glas Wein. Für wen? Ist das die Einladung zum gemeinsamen (Abend-)Mahl?
Sonst ist von dem Raum nichts zu sehen, nur warmes, einladendes Licht, das von hinten in den Raum fällt und sich nach aussen hin ausbreitet. Woher kommt es? Das Licht wirkt wie ein Weg. Der Zutritt ist hindernisfrei, es gibt keinen «Türsteher», keine Kontrolle. Man kann einfach eintreten und wird nicht abgewiesen: «Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.»
Doch bleibt die Türe offen oder fällt sie irgendwann ins Schloss? Ein überdimensionaler goldener Schlüssel in Form eines Kreuzes baumelt an einer Kette von oben herab. Das Kreuz als Schlüssel für die Türe, die zum Leben führt.
Die obere Bildhälfte ist mehr bestimmt durch Blautöne, die untere Bildhälfte mehr durch Braun- und Grautöne. Doch die beiden Farbwelten vermischen sich. «Himmelsfarben» treffen auf erdige Töne. Himmel und Erde kommen zusammen, berühren sich – wie an Weihnachten.
Doch wo findet man diesen Raum mit seiner geheimnisvollen Weite? Wo ist dieser Ort, an dem man sich zuhause und geborgen fühlen könnte? Könnte sich dieser Sehnsuchtsort überall auftun? Vielleicht sogar in deinem und meinem Herzen?
Und ich denke, diese Grafik zeigt nicht nur einen Ort, sondern sie zeigt zugleich auch den Gastgeber dieses Ortes selbst. Dieser Gastgeber lädt uns zu sich ein und verspricht: «Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.»
Dieser Gastgeber Jesus stellt sich selber unter anderem durch die «Ich bin»-Worte vor. Die Künstlerin hat einige dieser Worte in ihrer Grafik aufgenommen:
- «Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr hungern. Und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.» (Johannes 6,35)
- «Ich bin das Licht der Welt. Wer mir folgt, irrt nicht mehr in der Finsternis umher. Vielmehr wird er das Licht des Lebens haben.» (Johannes 8,12)
- «Ich bin die Tür. Wer durch mich hineingeht, wird gerettet. Er wird hinein- und hinausgehen und eine gute Weide finden. Ich bin gekommen, um ihnen das wahre Leben zu bringen – das Leben in seiner ganzen Fülle.» (Johannes 10,9.10b)
- «Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Es gibt keinen anderen Weg zum Vater als mich.» (Johannes 14,6)
- «Ich bin die Auferstehung und das Leben! Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. Und wer lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht von Gott getrennt. Glaubst du das?» (Johannes 11,25-26)
Jesus als der Gastgeber dieses Raumes ist also gegenwärtig, auch wenn man ihn auf dem Bild nicht als Person sieht. Besonders gegenwärtig ist er in Brot und Wein. Sie bilden die Mitte der Grafik. So wie wir beim Abendmahl Brot und den Saft der Trauben in uns aufnehmen, so möchte Jesus auch in unsere Herzen aufgenommen werden. Jesus will uns schon im Hier und Jetzt nahe sein. Nichts und niemand kann uns von ihm und seiner Liebe trennen. Auch nicht der Tod.
Was für ein Angebot, was für eine Einladung! Doch leider hält sich die Begeisterung vieler Menschen – damals wie heute – in Grenzen. Oft bleibt die Einladung ungehört. Vielleicht auch weil die Menschen den Gastgeber nicht kennen und sich lieber in ihren vertrauten vier Wänden aufhalten. Es ist gut, dass die Tür Tag und Nacht geöffnet bleibt und dass Jesus keiner Frage ausweicht, jedes Gebet hört. Er hält es auch aus, wenn wir gerade viel «Wichtigeres» zu tun haben, als uns mit ihm und seiner Einladung zu befassen.
Doch wenn ich der Einladung von Jesus folge, dann lerne ich seine Gastgeberqualitäten kennen. Er hört nicht auf, jede und jeden unermüdlich persönlich einzuladen. Ein Gebet kann schon ein erster Schritt sein. Denn wer zu ihm kommt, den wird er nicht abweisen!
Amen.
Quelle: Die Grafik von Stefanie Bahlinger gibt es beim Verlag am Birnbach und einige Gedanken dazu stammen von Renate Karnstein (Jahreslosung.eu).