Die neue Familie

Datum: Sunday, 2. April 2023 | Prediger/in:
Serie: | Bibeltext: Epheser 2,11-22

Wie ist das für dich mit dem Thema «Ausländer»? Ich weiss, ein politisch heikles Thema. Aber trotzdem, überleg dir mal folgendes:

Was sind die Voraussetzungen, damit du jemanden, der nicht aus deinem Herkunftsland stammt, sondern zugezogen ist, als «Einheimischen» bezeichnen würdest? Also wenn du in der Schweiz geboren bist: Wann ist jemand eine «Schweizerin» oder ein «Schweizer»? Oder wenn du in Deutschland geboren bist oder sonst in einem anderen Land: Wann ist jemand «einheimisch»? Braucht es dazu den entsprechenden Pass? Oder die richtige Sprache, den richtigen Akzent? 

Oder anders herum? Wann ist jemand ein Ausländer? Und jetzt mal auf die Schweiz bezogen: Ist jemand mehr Ausländer, wenn er aus einem afrikanischen Land stammt, als wenn er aus einem Europäischen Land kommt? Macht es für dich einen Unterschied, ob jemand aus Frankreich kommt oder aus Albanien oder Rumänien?
Und die letzte Frage dazu: Wenn wir ehrlich sind, fühlen wir uns dann anderen Nationalitäten überlegen?

Die Ausgangslage

Ich weiss nicht, was du nun gedacht hast, wie du dich selber einschätzt. Aber ganz offensichtlich gibt es Menschen, welche Vorurteile gegenüber «den Anderen» also z.B. Migranten haben. Und ein einer ganz ähnlichen Situation sah sich Paulus konfrontiert. Schon seit Pfingsten, seit die Kirche quasi geboren wurde, gab es unter den Nachfolgern von Jesus zwei Gruppen: Nämlich Gläubige mit einem jüdischen Hintergrund und solche ohne jüdischen Hintergrund – aus Sicht der Juden waren das die Heiden. Da für die Juden die Beschneidung ein Bundeszeichen war, das unteranderem ihre Identität ausmachte, wurden die Heiden von ihnen auch als die «Unbeschnittenen» bezeichnet – diejenigen, welche nicht zum Bund gehörten.
Und bereits in der Apostelgeschichte lesen wir, dass es zwischen diesen zwei Gruppen immer mal wieder Spannungen gab (z.B. Apg 15). Das ist nicht so sehr verwunderlich, da die Juden schon von Gesetzes wegen sich von den Heiden fern hielten. 

Schon bei Mose machte Gott dem Volk Israel klar, dass sie sich nicht mit anderen Völkern mischen sollen. Das hatte nichts mit Überheblichkeit zu tun, sondern damit, dass das Volk Israel von Gott einen besonderen Auftrag bekommen hatte, eine besondere Berufung für die anderen Völker und Nationen ein Segen zu sein. Und diese Berufung war gefährdet, wenn sich das Volk Israel mit anderen Völkern der Nachbarschaft vermischen würde. Zumal diese anderen Völker ja auch andere Götter (oder Götzen) verehrten. In der Zeit nach dem Exil unter den Rückkehrern nach Jerusalem hat dann Esra dem Volk das nochmals sehr deutlich vor Augen gemalt (übrigens, wer mehr über Esra erfahren möchte: am 20. April findet das Adonia-Konzert zum Thema Esra statt im Pfarreiheim hier in Sursee). Das Volk Israel war also über Jahrhunderte hinweg gelehrt worden, zu den anderen Völkern Abstand zu halten – auch damit sie als eher kleines Volk nicht unter den grossen Nachbarvölkern unter gehen.

Und jetzt hat mit Pfingsten etwas völlig neues begonnen. Plötzlich sind nun Menschen, die von Geburt aus nicht zum Volk Israel gehören, eingeladen Teil des Volkes Gottes zu werden und zwar nicht indem sie Juden wurden, sondern indem sie den Juden Jesus von Nazareth als ihren Retter und Erlöser im Glauben annahmen. Das war für Juden, die zum Glauben an Jesus kamen, gar nicht so einfach zu verstehen. Vielleicht erinnerst du dich an die Geschichte von Petrus, wo Gott ihm durch ein Zeichen zu verstehen gab, dass er auch den Heiden die frohe Botschaft verkünden soll und dass auch Heiden im Volk von Gott willkommen sind (vgl. Apg 10). Dass nun auch Heiden dazugehören sollen, das war eine Provokation. Und dass diese Heiden sich nicht dem ganzen jüdischen Gesetz mit seinen über 600 Geboten unterstellen mussten, das war noch eine grössere Herausforderung. Das fiel vielen Judenchristen schwer zu verstehen. Das ganze hat sich dann noch weiter verschärft, als bald schon viel mehr Heiden zum Glauben an Jesus fanden, als Juden. Klar, logisch, es gab und gibt ja sehr viel mehr Heiden als Juden. Aber so wurden an vielen Orten die Judenchristen zur Minderheit. Gerade in Gemeinden wie im griechischen Ephesus da waren die Judenchristen in der klaren Minderheit - je länger je mehr. Deshalb wendet sich Paulus auch ganz klar an die Heidenchristen.

Einst von den Verheissungen ausgeschlossen (Verse 11+12)

Einmal mehr schaut Paulus mit den Ephesern zusammen auf die Zeit zurück vor ihrer Umkehr zu Gott. Während es im vorangegangenen Abschnitt darum ging, dass sie geistlich gesehen tot waren, geht es jetzt darum, dass sie nicht zum jüdischen Volk gehört hatten und deshalb von dem Bund und von den Verheissungen ausgeschlossen waren. Das war eine hoffnungslose Situation! Doch wiederum bleibt Paulus nicht da stehen:

Doch nun aufgenommen in die neue Familie (Verse 13-18)

Durch den Tod und die Auferstehung von Jesus Christus hat sich die Situation grundlegend geändert. Wir, die wir von Geburt an keine Juden sind, haben nun ebenfalls Zugang zum Bund und zu den Verheissungen, die Gott seinem Volk gegeben hat. Jesus hat die Feindschaft, die zwischen den beiden Gruppen überwunden, er hat sie durch seinen Tod besiegt. 

Das heisst aber auch, dass die beiden Gruppen somit nicht länger als Feinde einander gegenüberstehen sollen. Sondern sie sind zu einem einzigen Leib zusammengefügt. 

In Vers 12 hiess es, dass sie, die Heiden, damals ohne Gott waren. Das griechische Adjektiv, das Paulus dafür braucht, heisst «atheos» – davon stammt die Bezeichnung «Atheist» ab. Das war damals ganz schön ironisch. Denn damals bezeichneten die Heiden die Juden und später die Christen als «atheos», weil sie keine Götterstatuen zum Anbeten hatten, keine Tieropfer darbrachten und keine Orakel befragten und auch sonst keine Rituale hatten, welche die Heiden mit der Verehrung der Götter in Verbindung brachten. Paulus dagegen kehrt den Spiess um und sagt klar: Die Heiden haben gar keine Götter, das was sie anbeten sind lediglich tote Götzen. Deshalb sind sie, die Heiden in Wirklichkeit die Atheisten, diejenigen ohne Gott.

Doch nun sind die Heidenchristen in Ephesus nicht länger fern von Gott, sondern dank Jesus Christus haben sie das grosse Privileg, in Gottes Nähe sein zu dürfen. Tod und Auferstehung von Jesus haben die Schranken, die das zuvor verhindert hatten, niedergerissen. Es gibt nun keine Trennung mehr zwischen den Heidenchristen und den Judenchristen. Somit gibt es nun eine einzige neue Menschheit anstelle der bisherigen zwei Gruppen «Heiden» und «Juden». Für die Juden war das schockierend und selbst die Judenchristen hatten oft ihre Mühe damit. 

Doch wie ist das heute bei uns? Sind wir als Kirchen im Westen bereit, Christen aus anderen Teilen der Welt uneingeschränkt als unsere Geschwister anzunehmen? Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass wir alles in unserer Macht stehende tun, um Christen, die in ihrer Heimat verfolgt werden, zu unterstützen. Oder dass wir Christen, die ihre Heimat verlassen mussten und nun bei uns leben, in unsere Gemeinden aufnehmen und integrieren. Das wäre natürlich auch eine Herausforderung, weil die Kultur ja unter Umständen recht unterschiedlich sein kann, auch in Bezug auf die Gestaltung des Glaubens. Aber diese Herausforderung hatten ja auch die Heidenchristen und die Judenchristen miteinander. 

Zum Schluss dieses Abschnittest malt Paulus ein Bild davon, wie es aussieht, wenn wir Heidenchristen in das schon längst bestehende Haus Gottes eingebaut werden. 

Bürger des Himmels (Verse 19-22)

Wir sind nun also Bürger des Himmels, haben ein neues Bürgerrecht. Was das bedeutet, ein neues Bürgerrecht zu bekommen, das können wohl Migranten besonders verstehen, die aus ihrer Heimat flüchten mussten und nun durch die Einbürgerung bleibend geschützt sind durch das Recht in ihrer neuen Heimat bleiben zu dürfen.

Dank diesem Bürgerrecht gehören wir zum Haus Gottes, zu seiner neuen Familie. Und dieses Haus Gottes beschreibt Paulus als ein Tempel mit einem Fundament bestehend aus den Propheten und den Aposteln, mit dem Eckstein Jesus Christus, der Stein an dem alles ausgerichtet wird, von dem alles abhängt. Ein Tempel, der wächst durch jeden neuen Gläubigen, der als lebendiger Stein in den Tempel eingebaut wird. 

Spannend finde ich dabei, dass hier nicht davon die Rede ist, dass jeder Gläubige selber ein Tempel ist – was Paulus ja an anderer Stelle so sagt (z.B. 1Kor 3,16; 6,19). Sondern dass er hier davon spricht, dass wir alle zusammen mit Jesus den einen Tempel bilden. Der Tempel ist dabei der Ort, wo Gott gegenwärtig ist, wo er gelobt wird, wo Versöhnung geschieht und wo Gottes Wort bewahrt und verkündigt wird. Wenn wir zur Familie Gottes gehören und Teil dieses lebendigen Tempels sind, dann sind wir zuhause bei Gott. Aber das gilt auch umgekehrt: Der Tempel ist auch Gottes Zuhause, wo er durch seinen Geist wohnt und somit ist auch er bei uns zuhause. Gott will uns nahe sein!

Palmsonntag

Wir feiern heute Palmsonntag. Das heisst, wir erinnern uns daran, dass Jesus zusammen mit seinen Jüngern in Jerusalem eingezogen ist und vom Volk unter grossem Jubel mit Palmzweigen empfangen wurde. Mit dem Palmsonntag beginnt die Passionszeit. Jesus ist mit seinen Jüngern nach Jerusalem gezogen, um dort den Willen seines Vaters zu tun. In den Tagen nach seinem Einzug in Jerusalem haben sich Jesus und seine Jünger auf das Passafest vorbereitet. Für Jesus hatten damit seine letzten Tage als Mensch auf dieser Erde begonnen. Er wollte sich noch ein letztes Mal stärken, bevor dann die schwierigsten Stunden seines Lebens auf ihn zukommen würden. Diese Stunden, die uns «Heiden» es überhaupt erst ermöglichten, ihm nahe zu kommen. Oder wie Paulus es auf den Punkt bringt: 

  • «Weil Christus sein Blut für euch vergossen hat, seid ihr jetzt nicht mehr fern von Gott, sondern habt das Vorrecht, in seiner Nähe zu sein.» Epheser 2,13b (NGÜ)

Weil wir seither das Vorrecht haben, in seiner Nähe sein zu dürfen, deshalb feiern wir an jedem ersten Tag der Woche Gottesdienst, in Erinnerung daran, dass Jesus auferstanden ist. Und ganz besonders erinnern wir uns in der Kar- und Osterwoche daran.

Amen.

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